Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Schritt 1: Projekt verorten

Schritt 2: Ziele definieren

Schritt 3: Rahmenbedingungen berücksichtigen

Schritt 4: Erleben oder Verhalten?

Schritt 5: Befragen, beobachten oder beides

Fazit

Einleitung

Vor rund zehn Jahren – als die User Experience noch Beiwerk von Usability Tests war – sass ich an einem Studienkonzept für mein erstes Research-Projekt. Ich war nervös. Vor mir war ein weisses Blatt Papier, das ich mit einem gut durchdachten Vorgehensplan füllen sollte. Doch wo beginnen? Welche Anhaltspunkte nutzen? Nach langem Hin und Her entschied ich, mich an Vorstudien meines Instituts zu halten und einen Usability Test durchzuführen.

Jahre später wurde mir klar, dass ich durch die Entscheidung, mich an den Status quo zu halten, etwas Wesentliches ausgelassen hatte: die Definition meiner Fragestellung. Denn was ich herausfinden will bestimmt, wie ich vorgehen sollte.

Jedes UX-Projekt ist einzigartig und jeder Kunde tickt anders. Deshalb kann es schwierig sein, einen Weg durch das Dickicht des Methodenschungels zu bahnen. Der folgende Beitrag erörtert, wie du in jeder Situation die richtige UX-Methode für dein Projekt wählst.

Schritt 1: Projekt verorten

Die User Experience sollte sich auf das Gesamterlebnis des Nutzers oder Kunden beziehen. Sie sollte als Teil eines holistischen Konzeptes betrachtet werden, das den gesamten Produktlebenszyklus miteinbezieht. Daher ist es ratsam, als Erstes eine Standortbestimmung zu machen. Wo im Entwicklungsprozess stehen wir gerade? Und noch viel wichtiger: Wohin wollen wir genau?

Die Standortbestimmung ist auch deshalb so wichtig, weil sich viele Methoden an unterschiedlichen Zeitpunkten immer wieder einsetzen lassen. Eine User Journey kann explorativ eingesetzt werden, um beispielsweise das Kundenverhalten und -erleben beim Einkaufen kennenzulernen, zu verstehen und abzubilden. Eine bereits erstellte Journey kann ich hingegen nutzen, um einen Prototyp entlang der Journey zu validieren. Das heisst, um zu überprüfen, inwiefern die Lösung zu den Bedürfnissen, Verhaltensweisen und Schnittstellen eines Nutzers mit dem Produkt passt.

die richtige UX-Methode user journey map

Bild: https://www.sidekickdigital.co.uk/insights/how-to-create-a-user-journey-map

Schritt 2: Ziele definieren

Wie in der Einleitung erwähnt bestimmt das Ziel die richtige UX-Methode. Zu Beginn eines jeden neuen Projektes musst du dir also die entscheidende Frage stellen: Was will ich herausfinden? Und diese klare Fragestellung zu formulieren, ist gar nicht so leicht. Denn ich muss mir überlegen, ob ich nach dem Wie oder nach dem Warum frage.

Mit einem klassischen, eher quantitativ ausgerichteten Tagebuch oder einer Umfrage kann ich beispielsweise erheben, wie oft die User bestimmte Features nutzen, welche Features nicht genutzt werden, wo es Abbruchraten gibt und so weiter.

questions answered by research methods across the landscape die richtige UX-Methode

Source: NNG

Ohne das Hinzufügen weiterer qualitativer Methoden weiss ich jedoch nicht, warum die Nutzer ein gewisses Verhalten an den Tag legen. Selbstverständlich kann ich im Tagebuch nach dem Warum fragen. Allerdings fällt es den meisten Personen schwer, bei sich selbst nachzuhaken.

Der Einsatz einer UX-Methode ist gleichzusetzen mit dem Sammeln von Daten: Daten über Meinungen, Daten über Verhaltensweisen, Daten zu Nutzungshäufigkeiten. Mal brauche ich qualitative Daten wie zum Beipsiel Aussagen von Usern in einem Interview. Mal quantitative Daten wie Klickraten im Internet. Du musst also wissen, wonach du fragst – und ob du messbare Zahlen oder subjektive Meinungen zutage fördern willst:

  • Was? Nutzungsverhalten und -erleben
  • Wer? Nutzer und ihre Eigenschaften
  • Wie? Tools, Techniken
  • Wo? Orte, Räume, Kulturen
  • Wann? Frequenzen, Zeitintervalle, Episoden
  • Warum? Motivation, Nutzen, Werte, Einstellungen

Schritt 3: Rahmenbedingungen berücksichtigen

Nun weisst du, ob du nach dem Wie oder nach dem Warum fragst und welche Daten du zur Beantwortung deiner Frage sammeln musst. Im dritten Schritt geht es darum, die Rahmenbedingungen aus dem jeweiligen Projekt sowie die Ansprüche deiner verschiedenen Stakeholder zu berücksichtigen. Folgende Überlegungen zu Zielgruppen, Aufwand und Ertrag sowie benötigten Materialien können dir helfen, die Methodenwahl weiter einzugrenzen:

  • Will ich eine bestimmte Zielgruppe erreichen (zum Beispiel Medium, Reichweite)? Wie gross und heterogen soll die Zielgruppe sein? Ist die Repräsentativität der Zielgruppe relevant?
  • Wie viel Zeit muss ich einberechnen für eine jeweilige Methode inklusive Vorbereitung, Auswertung und Berichterstellung? Mit welchem Aufwand muss ich rechnen für einen bestimmten Ertrag?
  • Welche Materialien benötige ich (zum Beispiel Online-Umfragetools, Papier, Usability Lab)? Wie viel Spielraum lässt das Budget zu?

Schritt 4: Erleben oder Verhalten?

Bei der Arbeit mit Usern geht es letztendlich immer um das Ermitteln zweier Dinge: das Erleben und das Verhalten. Entweder will ich wissen, was Menschen fühlen und denken oder was sie tun. Das ist ein grosser Unterschied.

Um das Verhalten zu definieren, dass du eigentlich beobachten willst, kannst du dich der Unterscheidung von Aufgaben und Teilaufgaben bedienen. Aufgaben haben immer ein Ziel, Teilaufgaben sind einzelne Handlungen, Schritte, Operationen, die mich zum Ziel führen, zum Beispiel:

die richtige UX-Methode aufgaben teilaufgaben

Obwohl es nahe liegt, dass ich Verhalten beobachten und Erleben erfragen kann, macht es doch einen erheblichen Unterschied, wie genau ich dies tue. In einem meiner Projekte im Bereich Healthcare zum Beispiel haben wir erst durch Simulationen (Rollenspiel) eines neuen Telemedizin-Services gemerkt, wie oft Pflegepersonen während ihrer Arbeit von Kollegen unterbrochen werden. Zuvor danach gefragt, haben Pflegepersonen dies nicht erwähnt, weil es sie nie störte. Die Pflegenden hatten sich bereits daran gewöhnt und es nicht mehr als Problem gesehen. Bei der Beobachtung der Situation fiel uns dies jedoch als sehr unangenehm für die anderen an der Telekonsultation Beteiligten (Patienten, Angehörige) auf. Online Diaries mit ethnographischem Ansatz können hier eine gute Methode sein, um wichtige Alltagssituationen zeitnah zu erheben.

User schildern ihre heutige Sicht

Befragst du einen User, schildert dieser seine heutige Sicht der Dinge. Das heisst, du erhältst eine zwingend subjektive und meist retrospektive Antwort. Und zwar zu den für den User salienten Dingen.

Salienz bedeutet, dass gewisse Reize oder Dinge unserem Bewusstsein leichter zugänglich sind als andere. Oftmals trifft dies auf Dinge zu, die unseren Erwartungen entsprechen: So nehmen wir beispielsweise wahr, dass wir im Vergleich zum Partner ständig den Geschirrspüler ausräumen. Nicht, weil dem so ist. Sondern schlichtweg weil unser eigenes Verhalten meist salienter ist als dasjenige anderer Personen.

Salienz ist ein wichtiger Grundsatz, den du immer im Hinterkopf behalten solltest. Angenommen wir wollen User zu ihrem täglichen Gesundheitsverhalten befragen, weil wir eine neue Fitnesswebseite planen. Im Interview könnten die User gesundheitsförderliche Verhaltensweisen hervorheben. Ungesunde Verhaltensweisen könnten sie unbewusst in den Hintergrund stellen oder gänzlich verdrängen. Würden wir die User stattdessen während einer Woche beobachten, käme vielleicht ein ganz anderes Gesundheitsverhalten ans Licht.

Die erwähnte Retrospektivität, das Zurückblicken auf die Vergangenheit, führt zu zusätzlich verzerrten Antworten. Die User können viele Details nicht mehr genau abrufen und ihre Erinnerungen vermischen sich mit ihren Meinungen, Gefühlen und Erwartungen.

Schritt 5: Befragen, beobachten oder beides

Im Grunde genommen gibt es drei unterschiedliche Möglichkeiten, um User-Daten zu erheben:

1 Ask: Das explorative Interview

Der Researcher befragt den User.

Interviews können in unterschiedlichen Settings und mit unterschiedlichen Personen stattfinden. Sie kommen in beinahe allen Entwicklungsschritten zum Einsatz: Kontextuelles Interview, Qualitatives Interview, Interview im Usability Test, Experteninterview. Egal in welcher Situation, Interviews haben einen grossen Vorteil: Der Researcher gelangt durch Interviews zum Warum und deckt Motive und Bedürfnisse auf.

Grundsätzlich sind explorative Interviews, die einem groben Leitfaden folgen und dem User viel Freiraum zum Erzählen bieten, insbesondere zu Beginn von Projekten sinnvoll. Die Interviews helfen, eine bestimmte Domain erstmalig zu erfassen, die Sicht des Users zu ermitteln und einen Überblick über dessen Tätigkeiten, Aufgaben, Ziele und Lebensumstände zu erhalten. Damit können Interviews auch sehr unterschiedliche Nutzen haben, zum Beispiel:

  • Erstellung einer User Journey
  • Basis für Personas
  • Task Analysis
  • Bedürfnisanalyse
  • Evaluation (später im Entwicklungsprozess, zum Beispiel im Usability Test)

2 Observe: Beobachtung im Kontext und als Tagebuch

Der Researcher beobachtet den User.

Beobachtungsmethoden dienen in erster Linie dazu, Verhalten zu erheben. Folgende Methoden nutzen beobachtende Elemente:

  • Contextual Inquiry/Feldbeobachtung
  • Tagebuchstudien/Selbstbeobachtung
  • Usability Test
  • Beobachtung während Interviews
  • Online Analytics

Ein grosser Vorteil von Beobachtungen ist: Du kannst Dinge erheben, von denen du vorher gar nicht wusstest, dass sie interessant oder relevant sein könnten. Je nach Detaillierungsgrad kann es dabei um sehr kurz nacheinander ablaufende Handlungen gehen, wie die Navigation in einer App, oder um grössere Tätigkeiten, wie Projekt-Management.

Die Beobachtung lässt sich also sehr gut skalieren, sofern du gut planst. Beispielsweise musst du dir überlegen, ob du an einem Beobachtungstag überhaupt auf die Ereignisse treffen wirst, die dich interessieren. Probleme, die mit der längerfristigen Nutzung eines Produktes zusammenhängen, wirst du durch kurzfristiges Zuschauen kaum aufdecken können.

3 Try: Ein Produkt erleben

Eine Kombination aus Ask und Observe, bei welcher der User etwas ausprobiert, während der Researcher beobachtet und Fragen stellt.

die richtige UX-Methode try erleben

Alternativ kann auch der Researcher den Prototyp ausprobieren, beispielsweise indem er sich hinter einen Kundenschalter stellt und einen Arbeitsablauf simuliert. Oder eine Gruppe von Personen prototypt ein Szenario als Service Roleplay. So lassen sich viele Kriterien erheben, die sich auf das Erleben von Usern beziehen: Wie wird der Kunde behandelt? Wie ist die Stimmung des Kunden? Was fehlt oder ist unklar im Ablauf?

Gruppenaktivitäten wie Fokusgruppen unterscheiden sich in gewissen Punkten von 1:1-Sessions. Sie erlauben, unterschiedliche Meinungen und Werte zu erheben und einander gegenüberzustellen. Der soziale Aspekt spielt hier eine wesentliche Rolle: Wie würde ein Gruppe von Personen draussen in der realen Welt über das Produkt sprechen? Dementsprechend sollten die Fragen so gewählt werden, dass sie sich für Gruppendiskussionen eignen. Das individuelle Nutzungsverhalten beispielsweise sollte nicht im Vordergrund stehen.

Fazit

Nun kennst du die fünf Schritte, wie du die richtige UX-Methode für dein Projekt wählst. Zudem weisst du, dass «richtig» eigentlich «zur jeweiligen Situation passend» bedeutet. Neben Überlegungen zur Fragestellung sowie zur Umsetzbarkeit kann ein Projekt beispielsweise unter hohem Kosten- oder Zeitdruck stehen.

Mein persönlicher Tipp: stets sauber nachfassen!

  • Hat die Methode die erwarteten Insights geliefert?
  • War der Zeitpunkt richtig für deren Einsatz?
  • Welche Fragen konnten nicht beantwortet werden?
  • Habe ich Antworten, zu denen ich keine Frage gestellt habe?
  • Habe ich Neues erfahren?
  • Wozu konnte ich die Erkenntnisse nutzen?
  • Was hat mich überrascht?

Mit der Zeit erhältst du so ein Profil für jede UX-Methode, das dir zukünftige Entscheidungen erleichtern wird.