In meiner Wahrnehmung gehen die Ursprünge von CEM auf die späten Neunzigerjahre zurück, wo findige Köpfe im Silicon Valley realisierten, dass mit der Digitalisierung die Kundenzentrierung stark an Bedeutung gewinnt. Früher waren die Kontaktpunkte zwischen Unternehmung respektive Produkt und Konsument überschaubar und einfach(er) steuerbar. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Marktdynamik grundlegend verändert: Die Anzahl dieser Kontaktpunkte (gleichbedeutend mit Touchpoints) explodierte förmlich. Preise und Produkte wurden austauschbar. Der Markt verlangte nach Differenzierung.
„You‘ve got to start with the customer experience and work back toward the technology – not the other way around.“ Das berühmte Zitat von Steve Jobs, Gründer von Apple, mag heute etwas abgedroschen klingen, aber es enthält aus meiner Sicht den Kern von CEM: Die Denkhaltung, wie Aufgaben- und Projektstellungen anzugehen sind, die Vorgehensweise, wie die Zusammenarbeit in Teams zu gestalten ist und letztlich, wie der Einsatz eines situationsgerechten und zielführenden Instrumentariums gesteuert werden soll.
CEM kann als Formel interpretiert werden kann. Die Buchstabenfolge C-E-M erlaubt – entsprechend der Aufgabenstellung – vielerlei Anwendungsmöglichkeiten:
C wie Customer
Kunden intern, Kunde extern, b-t-b, b-t-c, Anwender, Nutzer, Entscheider, Beeinflusser, …
E wie Experience
Erwartung, Erlebnis/Erfahrung, Erinnerung (3 E’s), … (Erlebnis-/Erfahrungsmanagement)
M wie Management
Der Umgang mit validierten Erkenntnissen: Daten aus der Marktforschung, Desk Research, Expertenstudien, Geschichten und Wahrnehmungen von Kunden, kollektivem Wissen und eigenen Ideen.
Bei CEM geht es nicht darum, über den Kunden, sondern mit dem Kunden zu sprechen.
Die Herausforderung von CEM ist, die Outside-in-Sicht (was? wie? warum?) in kreative Problemlösungstechniken zu übersetzen und mit der Inside-Out-Sicht (warum? wie? was?) zu kombinieren. Customer Experience-Werkzeuge sind Hilfsmittel zum besseren Verständnis und zum Gestalten eines durchgängigen Kundenerlebnisses.
Das Soll-Kundenerlebnis der Schweizerischen Post
Produkte und Dienstleistungen werden zunehmend austauschbarer. Der Kunden trifft die Wahl für einen passenden Anbieter immer selbstständiger. Jede einzelne Begegnung wird Teil des Kundenerlebnisses – auch bei der Post. Die Schweizerische Post steht dadurch vor der Herausforderung, das Angebot und die Kommunikation besser auf ihre Kunden abzustimmen. Eine „Outside In“-Betrachtung bildet die Voraussetzung, die Wahrnehmung des Kunden zu verstehen.
Bei der Schweizerischen Post sorgen die Privatkunden für die Meinungsbildung, die Geschäftskunden für den Umsatz. Ziel muss es sein, für beide Marktsegmente Lösungen zu finden, die aus der jeweiligen Kunden-Sicht überzeugen. Die Post hat deshalb ein Markenversprechen über alle Kontaktpunkte entwickelt. Dieses Soll-Kundenerlebnis lautet:
Meine Post setzt alles in Bewegung, um mein Leben einfacher zu machen – wann, wo und wie es mir passt.
Daraus abgeleitet ergeben sich folgende Kernwerte: einfach, zuverlässig, beweglich.
Einfach
Wir schaffen ein übersichtliches Angebot und kommunizieren verständlich. Unabhängig von Ort und Zeit stellen wir schnelle, reibungslose Abläufe und eine unkomplizierte Zusammenarbeit sicher.
Zuverlässig
Wir halten, was wir versprechen und begegnen unseren Kunden partnerschaftlich. Durch einen kompetenten und sympathischen Auftritt gewährleisten wir unseren Kunden im täglichen Umgang mit uns ein sicheres Gefühl.
Beweglich
Wir entwickeln uns weiter und überzeugen mit flexiblen und kundenorientierten Lösungen. Durch unser Engagement und die Bereitschaft, einen Sonderanstrengung zu leisten, begeistern wir unsere Kunden.
Wir müssen den Alltag unser Kunden besser verstehen: vor, während und nach der Nutzung von Produkten und Dienstleistung. Nur so ist es möglich, Angebote zu schaffen, die den Kundenbedürfnissen auch entsprechen.
Wie funktioniert Customer Experience Management?
Entdecken
Konkrete Fragen stellen, das eignen Unternehmen durch die Kundenbrille beobachten
Erfassen
Informationen sammeln, Herausforderungen identifizieren, Bedürfnisse erkennen
Entwickeln
Ideen entwickeln und das Kundenerlebnis gestalten
Einführen
Voreilige Entscheidungen vermeiden, die nutzerfreundlichste Lösung umsetzen
Begeisternde Kundenerlebnisse zahlen sich auch finanziell aus
Den idealen Startzeitpunkt gibt es nicht
Wir sind in einem gesellschaftlichen und technologischen Wandel, der sehr rasch voranschreitet. Aus Sicht CEM ist dies die Entwicklung von der Dienstleistungs- zur Erlebnisgesellschaft. Oft wird aber noch zu unspezifisch über CEM diskutiert.
Der Weg zur Customer Experience führt einzig über das Ausprobieren, Machen und Überprüfen. CEM hört mit der Ideenmatrix nicht auf. Zu CEM gehören auch die Realisierung, Einführung und die Messung des Erfolges.
Die Kundensicht gilt es sorgfältig mit der Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit abzuwägen. Einen idealen Startzeitpunkt für eine (strategische) CEM-Initiative gibt es nicht. Wichtiger scheint mir, CEM als eine Art Kreislaufmodell zu begreifen, wo es darum geht:
- Kunden einen einfachen Zugang und eine einfache Nutzung der Produkte und Dienstleistungen zu ermöglichen,
- den Loyalitätskreislauf (Strategien für erfolgreiche Kundenbeziehungen) in Gang zu setzen, der die Kundenentwicklung und die Weiterempfehlung stimuliert und
- als Unternehmen beweglich zu bleiben, um den Kundenbedürfnissen jederzeit gerecht zu werden.
CEM Big Picture 2020+ der Schweizerischen Post
Am 23. Mai 2018 legte die Konzernleitung der Schweizerischen Post die künftige Ausrichtung von Customer Experience Management fest. Dabei wurde das CEM Big Picture 2020+ diskutiert und von der Konzernleitung gutgeheissen. Das Big Picture beinhaltet die wichtigsten Stossrichtungen betreffend Mitarbeiterkultur, Organisation, Messinstrumenten, Kunden und Ergebnisse. Mit ihm soll dem Ziel „Wer mit der Post zu tun hat, ist begeistert und erzählt es weiter“ Schritt für Schritt nähergekommen werden.
Mitarbeitende, Kultur
Mitarbeitende werden stufengerecht befähigt, ihre tägliche Arbeit auf das Kundenbedürfnis und das Post-Erlebnis auszurichten. Alle Mitarbeitenden leben die Kundenfokussierung. Unsere Kultur basiert auf dem unmittelbaren Austausch mit Kunden und offenem Feedback.
Organisation
Die Organisation und die Prozesse der Post orientieren sich an den Customer Journeys. Unsere Mitarbeitenden haben die Kompetenzen und Befugnisse, die sie brauchen, um schnell entscheiden und umsetzen zu können.
Messinstrumente
Kundenerlebnisse werden konsequent erhoben, ausgewertet und entsprechend gesteuert. Massnahmen, die das Kundenerlebnis kontinuierlich verbessern, werden abgeleitet.
Kunden
Unsere Kunden erfahren über alle Kontaktpunkte hinweg ein konsistentes Post-Erlebnis. Wer mit der Post zu tun hat, ist begeistert und erzählt es weiter.
Ergebnis
Unsere Kunden sind immer noch bereit, für die herausragenden Leistungen der Post zu bezahlen. Begeisternde Kundenerlebnisse zahlen sich auch finanziell für die Post aus.
Persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse
Ich habe CEM in zahlreichen Projekten innerhalb und ausserhalb der Schweizerischen Post anwenden und/oder als CEM-Coach begleiten können. Entscheidend ist immer die Frage: Wie gut gelingt es, die Perspektive der Kunden einzunehmen, sich in die Gefühle der Kunden hineinzuversetzen und damit die (validierten) Reaktionen der Kunden zu begreifen.
Customer Experience Management hilft dabei, Probleme besser zu verstehen, die Kundensicht vor Ort (Momente der Wahrheit) einzubeziehen, den Kundennutzen zu steigern, die Benutzerfreundlichkeit zu vereinfachen und Services proaktiv zu kommunizieren.
CEM ist aber nicht wirklich so neu, wie es oft daherkommt. Die Vorgehensweise und die Instrumente, welche dieser Denkhaltung zu Grunde liegen, werden in vielen Unternehmen -wie auch bei der Schweizerischen Post – intuitiv und häufig schon lange genutzt. Markt-gerechte und nutzerzentrierte Produkte und Dienstleistungen wären sonst gar nicht erklärbar.
Sich bewusst zu machen, wie und wo man in der Vergangenheit bereits erfolgreich war, ist ein pragmatischer und erfolgsversprechender Ansatz. Darauf lässt sich aufbauen und Schritt für Schritt eine eigene, zum jeweiligen Unternehmen passende CEM-Strategie realisieren. Bei CEM geht es schliesslich auch darum, Zeit zu sparen, schneller an den Markt zu gelangen, weniger zu reden, mehr zu machen und vor allem auszuprobieren.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf LinkedIn veröffentlicht.