Wer will schon scheitern?
Ein Unternehmen zu gründen, ist ein grosses Abenteuer. Es bringt viele Herausforderungen mit sich und es mag einfacher sein, mit einem Partner zu starten. Doch manchmal ist es schwierig, einen passenden Mitgründer beziehungsweise eine passende Mitgründerin zu finden. In jedem Fall kannst du dich glücklich nennen, wenn du von einem Coach oder gar von einem persönlichen Vorbild unterstützt wirst, der dir guten Rat und ehrliches Feedback gibt. Im besten Fall hast du die Möglichkeit, an einem Startup-Programm teilzunehmen, das dich professionell durch die verschiedenen Phasen einer erfolgreichen Gründung begleitet und dein aufregendes neues Entrepreneur-Leben bereichert.
Innovation durch Vielfalt
SINGA Schweiz bietet genau ein solches Startup-Programm, das ich dank der engagierten Mitgründerin Tina Erb kennengelernt habe. Ich war gerade dabei, als User Experience Designer im Impact Hub Zürich zu starten, während Tina sich schon eine ganze Weile mit den Problemen der Integration von Immigranten auf dem lokalen Arbeitsmarkt beschäftigt hatte. Tina hat mir das erfolgreiche Programm der SINGA Factory vorgestellt, das an einer inklusiven Gesellschaft und innovativen Ökonomie arbeitet. Dabei erhalten geflüchtete Menschen und UnternehmerInnen mit Migrationshintergrund regelmässige 1:1-Mentorings, Trainings, rechtliche Beratung und Gründungsberatung sowie Zugang zu einem Netzwerk von Experten, Partnern und Unternehmen.
Ein Forschungsprojekt der Universität Genf hat bestätigt, dass Unternehmensgründung durch Geflüchtete durchaus eine Möglichkeit sein kann, sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ebenso bietet Selbstständigkeit für Menschen aus anderen Ländern eine Chance, Vorurteile sowie kulturelle und sprachliche Barrieren zu überwinden. 2015 hatte ich in einer Erstaufnahmestelle in Mannheim den Deutschkurs für AsylbewerberInnen unterstützt. Das Startup-Programm SINGA Factory bot mir nun die Möglichkeit, meine professionellen Fähigkeiten in kundenzentrierter Produktentwicklung in ein sinnvolles Projekt einzubringen. Um die Geschäftsideen zu validieren und weiterzuentwickeln und die GründerInnen mit dem lokalen Netzwerk zu verbinden, haben wir uns für ein kollaboratives Workshop-Format entschieden. So konnten wir die SINGApreneurs, das Team von SINGA Schweiz und Mitglieder der lokalen Community in unserem Co-Working-Center Impact Hub zusammenbringen, um gemeinsam an den vielfältigen Businessplänen zu arbeiten.
Von Annahmen zu überprüften Daten
Manche SINGApreneurs hatten bereits eine eigene Unternehmung gestartet. Anderen schwirrte lediglich eine Vorstellung durch den Kopf, wie ihre künftige Tätigkeit aussehen könnte. Die Geschäftsideen reichten von internationalen Kochkursen in indischer Küche über Reisen zu exotischen Zielen wie Kirgisistan und Äthiopien, von digitalen Matching-Plattformen über soziale Unterstützung durch Leistungssport. Aber wie und womit am besten anfangen? Was tun, wenn du zwar viele Vermutungen, aber noch wenig Erfahrung hast? Wenn du unsicher bist, wie die Dinge in der neuen Heimat funktionieren? Du in einer anderen Branche unterwegs bist oder in eine komplexe Geschäftswelt einsteigen möchtest? Schauen wir uns doch mal an, was die Grundsätze einer menschenzentrierten Produktentwicklung sind: Ein Schlüssel zum Erfolg liegt darin, möglichst viel über unsere Zielgruppe zu lernen, um diese mitsamt ihrer Probleme zu verstehen! So können wir ein passendes Angebot erarbeiten und laufend am Markt unseren Kunden und Benutzern justieren. Als ersten Schritt auf dem Weg zu einer benutzerzentrierten Lösung haben die vielfältigen und internationalen Teams zuerst einmal eine sogenannte Persona für ihre Zielgruppe entwickelt. Dann haben wir die Repräsentanten der Kunden auf eine fiktive Reise geschickt. Sie sollten das jeweilige Produkt aussuchen und in einer typischen Situation ausprobieren.
Raus aus der Komfortzone
Den ersten Workshop habe ich mit Benutzerforschung gestartet: Ich schickte die Teilnehmenden ganz einfach in das nahegelegene Co-Working-Café. Dort sollten sie aber nicht selbst eine Tasse Kaffee geniessen, sondern die Besucher dabei beobachten und mit ihnen sprechen. Ziel der kleinen Übung war es, möglichst viel über das Angebot herauszufinden und Feedback zu bekommen. Bestenfalls sollten die Teilnehmenden Ideen bekommen, wie sie das Café-Erlebnis für die Gäste optimieren könnten. Einfach so mit fremden Menschen in einer Fremdsprache und in einer unbekannten Umgebung zu kommunizieren, bedeutete für einige Teilnehmende einen Schritt aus der eigenen Komfortzone. Es war für alle Beteiligten aber auch sehr unterhaltsam. Und vor allem brachte die Übung viele interessante Erkenntnisse und neue Erfahrungen!
Im nächsten Schritt haben wir gemeinsam in der Gruppe diskutiert. Wir haben die gesammelten Informationen über die Gäste des Cafés kategorisiert und in einer Vorlage zu einer Persona zusammengetragen, inklusive
- der aktuellen Situation und den zu erledigenden Aufgaben.
- der individuellen Bedürfnisse und Ziele.
- dem positiven und negativen Feedback.
Dieses realistische Abbild unserer Zielgruppe war ein guter Ausgangspunkt, um unsere Customer Journey zu entwerfen. Jeder aus dem Team hat geholfen, die einzelnen Phasen und Schritte der Kundenreise auf bunte Post-Its aufzuschreiben, ebenso alle Berührungspunkte, Gedanken und Emotionen der Gäste zu sammeln sowie Möglichkeiten, das Besuchserlebnis zu verbessern. Alle diese Punkte haben wir dann auf einer grossen Vorlage auf Flipchart-Papier angeordnet und in der richtigen Reihenfolge sortiert. Unser stolzes Ergebnis zeigt die komplette Customer Journey Map eines Freelancers, der regelmässig in einem Co-Working-Café arbeitet.
Vom Papier zur digitalen Kunden-Reise-Karte
Um zu verstehen, worum es bei einer Customer Journey Map eigentlich geht und wie du sie methodisch sauber erstellst, ist das Arbeiten auf Papier immer ein guter Ausgangspunkt – besonders, wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, die keinen Design-Hintergrund haben, wie die Kunden selbst, aber auch KollegInnen aus anderen Abteilungen. So bekommen alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis vom «Grossen Ganzen» und erfahren, warum Menschen in einer bestimmten Situation und Rolle auf eine bestimmte Art und Weise handeln und was sie dabei empfinden. Aus meiner Erfahrung als UX-Beraterin und -Trainerin möchte ich dir empfehlen, deine Customer Journey Map immer zuerst auf Papier zu entwerfen. Dieses Vorgehen ist nicht nur grossartig, um eine zentrale Methode des Service Designs zu lernen, sondern bringt dir auch folgende Vorteile:
- Es macht es leicht, mit einem ersten Entwurf anzufangen.
- Es visualisiert die ganze Kundenreise auf einem riesigen Poster.
- Es ermöglicht eine enge Zusammenarbeit und Diskussion von Angesicht zu Angesicht.
- Es hilft dem Team, eine benutzerzentrierte Einstellung zu etablieren.
- Es macht das Ergebnis für alle sichtbar (z. B. an die Wand gehängt).
Aber wo Licht ist, ist auch Schatten! Die Nachteile, wenn du mit Papier arbeitest, möchte ich dir nicht vorenthalten:
- Post-Its können schnell abfallen und leicht durcheinander geraten.
- Es gibt keinen guten Platz, um deine Kundenreise gut sichtbar aufzuhängen.
- Papier eignet sich nicht, wenn du mit Teams remote zusammenarbeitest.
- Jemand könnte deine Arbeit aus Versehen entfernen.
- Manche Handschriften sind nur schwer zu entziffern.
- Inhalte auf Papier sehen heutzutage nicht besonders wertvoll oder richtig aus.
Eine Customer Journey Map ist ein lebendiges Dokument
Auch wenn ich dir ans Herz lege, deine Kundenreise zuerst auf Papier zu entwerfen, ergibt es definitiv Sinn, sie im nächsten Schritt in eine digitale Version zu überführen. Aber was ist das beste Format dafür, und welches das richtige Werkzeug? Auf alle Fälle solltest du ein gutes Foto von deiner analogen Kundenreise aufnehmen, auf dem alle Details scharf zu sehen sind. So kannst du sicherstellen, dass du nachher auch tatsächlich alle Inhalte digitalisiert hast. Aber das ist nicht alles, was ich mit Digitalisieren meine! Eine Customer Journey Map ist ein lebendiges Dokument. Somit will es sorgfältig gehegt und gepflegt werden. Ein digitales Bild ist jedoch statisch und assoziiert, dass die Kundenreise final ausgearbeitet ist. Das ist aber nicht die Idee dieser Methode. Eine Customer Journey ist zuerst einmal ein Schnappschuss der aktuellen Situation und des Ablaufs, den du in eine optimale Kundenreise verwandeln möchtest: vom derzeitigen, verbesserungswürdigen Ist-Zustand in den künftigen, idealen Soll-Zustand. Die anfangs erhobene Reise ist also nichts, was es wieder zu vergessen gilt. Vielmehr erstellst du sie, um das Kundenerlebnis fortwährend von «schwach» oder «durchschnittlich» auf «gut» oder «exzellent» zu heben.
Die Customer Journey Map selbst ist ein Werkzeug
Natürlich kannst du eine Kundenreise auch in einem beliebigen Grafik-Tool wie Adobe Illustrator oder Affinity Designer erstellen. Oder du beauftragst einen kreativen Designer damit. Als Ergebnis bekommst du bestimmt ein hübsches Poster, das euer Büro verziert (und vielleicht die Ausgaben rechtfertigt, die ihr in die Benutzerforschung investiert habt). Solange du aber nicht selbst über ein Grafikwerkzeug verfügst und damit umgehen kannst, bleibst du immer vom Designer abhängig, wenn es um Änderungen und Aktualisierungen geht. Es gibt auch Researcher (einschliesslich mir selbst), die Customer Journeys ganz einfach in Excel erstellen. Hinsichtlich Gestaltung und Typografie hast du leider nur eingeschränkte Möglichkeiten. Doch sind die Zeilen und Spalten natürlich toll, weil sie schon gut das Format der Reise vorgeben. Als professionelle Researcher und Gestalter von Kunden- und Benutzererlebnissen haben wir jedoch weit mehr Bedürfnisse sowie Anforderungen an ein Tool:
Wir möchten die Customer Journey Map nicht nur entwerfen, sondern auch regelmässig aktualisieren und managen. Das bedeutet insbesondere, Inhalte mit Stakeholdern – Kunden, Anwendern, Managern, anderen Designern, Entwicklern, Marketing und vielleicht noch mehr Personen – zu teilen. Wir benötigen deshalb ein Werkzeug, das alle unsere Anforderungen erfüllt.
Ansonsten ergibt es meiner Meinung nach wenig Sinn, viel Zeit und Geld in eine Kundenreise zu investieren. Deshalb war ich sehr froh, das Customer Journey Mapping Tool Custellence im zweiten SINGApreneur-Workshop ausprobieren zu dürfen. Custellence hat schon viele Vorlagen für E-Commerce, Online Shopping und Handel, mit denen du einfach und schnell loslegen kannst. Um an unseren ersten Workshop anzuknüpfen, habe ich mich entschieden, meine individuelle Vorlage zu entwerfen. So haben dann Struktur, Icons und Farbschema der digitalisierten Kundenreise unserer Übung auf Papier entsprochen. Zusätzlich habe ich noch kurze Erklärungen zu jeder Zeile hinzugefügt. Für jedes Startup habe ich dann eine eigene Kopie erstellt und die Teilnehmenden direkt aus Custellence zur Bearbeitung per E-Mail eingeladen. Sofort konnten die SINGApreneurs und deren Mentoren nun anfangen, die Customer Journey für ihre Geschäftsidee zu dokumentieren und individuelle Inhalte hinzuzufügen. Ein tolles Gefühl, mit wie wenig Vorkenntnissen und Aufwand die Teams, vertieft am Laptop, ihre Customer Journey Map in Custellence ausgearbeitet haben! Die meisten Funktionen sind wirklich selbsterklärend und einfach anzuwenden. So wuchsen die Vorlagen schnell an und waren bald mit Details gefüllt.
Meine Vorlage einer Customer Journey Map für die SINGApreneurs in Custellence
Um die vielen Fragen zu den jeweiligen Geschäftsideen zu beantworten und eine möglichst umfassende Kundenreise zu erstellen, mussten die Teams noch weiter forschen: Mehr Daten waren zu sammeln, mehr Fragen zu beantworten und mehr Ideen zu finden. Dank Custellence war es aber auch nach dem Workshop möglich, die Entwürfe gegenseitig zu prüfen und mit Feedback zu aktualisieren. Coaches, Mitgründer und Kollegen (und manchmal gar potentielle Kunden) haben wertvolle Anmerkungen und Anregungen zur Kundenreise beigetragen. Zusätzlich konnte ich den engagierten SINGApreneurs auch anspruchsvollere Funktionen vermitteln. Wir haben dann die Customer Journey Maps als PDF exportiert und im Grossformat ausgedruckt oder mit Hilfe der Statuszuordnung die aktuelle Kundenreise in eine ideale umgewandelt.
Life is a pitch!
Nach den positiven Erfahrungen mit den SINGApreneurs bin ich überzeugt, dass Customer Journey Mapping schon Startups unterstützt, ihre Ideen mit den Bedürfnissen der künftigen Kunden in Einklang zu bringen. Den Teilnehmenden in Zürich hat die kundenzentrierte Methode in Kombination mit dem Service Design Tool Custellence sehr gut geholfen, ihre Fähigkeiten als GründerInnen entscheidend zu verbessern und zu erweitern. Die resultierenden Service Blueprints haben alle Geschäftsideen einen grossen Schritt vorangebracht, den Blick für Details geschärft und das Angebot weiter auf die Kunden fokussiert.
Dank Custellence können die Teilnehmenden des SINGApreneur-Programms ihre Customer Journey Map nun in einem digitalen Format verwalten und ganz einfach erweitern, teilen und regelmässig aktualisieren.
Ich freue mich schon sehr darauf, wenn die kundenzentrierten Lösungen der SINGApreneurs das Licht der Welt erblicken und hoffentlich bald am Schweizer oder gar am internationalen Markt erhältlich sind.
Über SINGA
Die SINGA Factory wird unterstützt von Engagement Migros, einem Entwicklungsfond der Migros Gruppe.
Über Custellence
Die Wurzeln von Custellence liegen im Bereich Service Design. Der Gründer und CEO Daniel Ewerman ist ein bekannter Service-Design-Pionier, der bereits 1998 die Service-Design-Agentur Transformator Design gründete. Custellence wird seit 2014 mit der Vision entwickelt, das professionellste, vielseitigste und kollaborativste Mapping Tool für Customer Journey Professionals anzubieten. Hier geht’s zum englischen Original-Artikel How to walk in your customer’s footsteps auf dem Custellence Blog.