Beim klassischen Usability Test lädt der UX-Researcher potentielle Kunden in ein Bürogebäude ein, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu testen. Dies ist einfach und praktisch:

  • Jede Firma hat einen Meeting-Raum, den der UX-Researcher für diese Zeit reservieren kann.
  • Die Usability-Studie lässt sich dort bequem mit einer geeigneten Software aufnehmen.
  • Während den Tests gibt es keine Störungen oder Einflüsse von aussen wie bspw. Lärm oder Wind.

Die Durchführung und die Testbedingungen bei klassischen Usability Tests im Labor sind demnach einfach zu kontrollieren. Und tatsächlich bringt so ein klassischer Usability Test viele Vorteile mit sich. Aber auch einige Nachteile: Die potentiellen Kunden benutzen dein Produkt unter künstlichen Bedingungen in einem Labor. So kann es sein, dass ein Produkt als einfach zu benutzen erscheint. Aber unter realen Bedingungen?

Das findest du nur heraus, wenn du im realen Umfeld deiner Kunden testest. Im Folgenden werde ich dir anhand eines kürzlich abgeschlossenen Projekts bei TWINT zeigen, wieso sich der Mehraufwand eines Feldtests lohnt und was du dabei beachten musst.

User Testing Kit

Das User Testing Kit enthält alles, was du für einen erfolgreichen Benutzertest benötigst:

  • Testskript-Vorlage mit hilfreichen Tipps für alle Phasen deines User Tests
  • Beobachtungsprotokoll-Vorlage
  • Benutzertest-Analyse-Spreadsheet-Vorlage

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Bargeldlos bezahlen auf dem Bauernhof

TWINT ist eine mobile Bezahllösung für die Schweiz, getragen von den grössten Schweizer Banken und der SIX. Die Smartphone App ermöglicht es Privatpersonen, schnell und einfach Beträge untereinander zu versenden oder in Geschäften zu bezahlen.

Seit 2018 können kleinere Betriebe wie bspw. Hofläden, Marktstände, Foodtrucks, uvm. bei TWINT einen QR-Code bestellen. TWINT-Kunden scannen diesen dann, um zu bezahlen.

Feldtest

Entweder ist ein fixer Betrag hinterlegt oder der Kunde kann den Betrag selber eingeben. So funktioniert bargeldlos auf dem Bauernhof bezahlen ganz ohne teure Infrastruktur wie bspw. einen Kreditkartenterminal.

Rekrutierung der Testpersonen

Vor der Markteinführung wollten wir herausfinden, wie einfach der Einkaufsprozess mit TWINT im Hofladen ist. Mithilfe des Schweizer Bauernverbandes fanden wir den Sonnhaldenhof in Wohlen, wo wir testen durften. Über TestingTime bestellten wir 6 Testpersonen, die

  • auf dem Land wohnen,
  • regelmässig in Hofläden einkaufen und
  • TWINT benutzen.

Wie auch bei klassischen Usability-Labortests ist die richtige Auswahl der Testpersonen sehr wichtig: Diese müssen nämlich der Zielgruppe entsprechen. Darüber hinaus musst du darauf achten, dass die Testpersonen den Testort gut erreichen. Deshalb haben wir für dieses Projekt einen Bauernhof ausgesucht, der möglichst gut an den ÖV angebunden ist.

Realitätsnahe Ergebnisse

Selbstverständlich hätten wir diesen Usability Test auch bei uns im Büro durchführen können. Es war uns aber wichtig, zu sehen, wie unsere Kunden unter realen Bedingungen mit TWINT bezahlen – z. B. im Hofladen.

Dank dem Feldtest gelang es uns, realitätsnahe Ergebnisse zu produzieren. Zudem sammelten wir weitere wichtige Hinweise, die sich nur im Test vor Ort ermitteln lassen: Bspw. hat sich gezeigt, dass ein Hinweisschild, dass man auch mit TWINT bezahlen kann, wichtig wäre. Weiter haben wir herausgefunden, wie ein solches Schild am besten zu positionieren ist, nämlich gleich bei der Auffahrt zum Hof. Diesen Input können wir nun anderen Hofläden weitergeben.

Während des Tests kauften die Testpersonen für einen bestimmten Betrag ein. Genauso wie sie sonst auch im Hofladen einkaufen. Beim Bezahlen an der Kasse fiel aber auf, dass die Testpersonen leicht unter Stress standen – insbesondere wenn noch weitere Kunden im Hofladen waren. So machten sie teilweise Flüchtigkeitsfehler: Z. B. vertippte sich eine Person und gab statt den verlangten CHF 6.- einen Betrag von CHF 600.- ein! Im Labor, d. h. in Ruhe und ohne Störung, hätten wir solche Stressauswirkungen kaum beobachten können.

Eine andere Testperson hatte Schwierigkeiten, den QR Code zu scannen. Wie sich herausstellte, war dieser so positioniert, dass er nur schlecht zu erreichen war. Nun können wir all unseren Händlern den Hinweis mitgeben, auf die Positionierung des QR Codes am Verkaufsstand zu achten.

Feldtest QR Code TWINT

Du siehst also, dass ein Test unter realen Bedingungen unter Umständen mehr bzw. andere Erkenntnisse liefert als ein Labortest.

Natürliches Szenario

Das Testszenario trägt massgeblich zur Qualität der Ergebnisse bei: Die Aufgabe muss möglichst realitätsnah sein, damit sich die Testpersonen in die Situation hineinversetzen können und sich möglichst natürlich verhalten. Eine grosse Herausforderung beim klassischen Test im Labor!

Im Gegensatz dazu war dies bei unserem Feldtest überhaupt kein Problem. Die Testpersonen wussten bereits, was sie im Hofladen einkaufen wollten, um das Abendessen zuzubereiten. Sie kauften die gewünschten Artikel wie gewohnt ein und mussten sich dabei keine fiktive Situation ausmalen. Folglich war ihr Verhalten während des Tests sehr natürlich.

Tipps für erfolgreiche Feldtests

Ich vermute, dass der grosse Aufwand einer der Hauptgründe ist, weshalb viele UX-Researcher den klassischen Labortest bevorzugen. Aber so ein Feldtest im realen Umfeld der User hat viele Vorteile. Deshalb solltest du ihm unbedingt eine Chance geben.

Hier meine persönlichen Tipps, damit auch dein Feldtest ein Erfolg wird:

1. Rekrutierung

  • Lade Testpersonen ein, die deiner Zielgruppe entsprechen.
  • Überlege dir, wo du den Test durchführen willst und wähle einen Ort aus, den die Testpersonen gut erreichen.

2. Zeitplanung

  • Berechne beim Feldtest etwas längere Pausen ein zwischen den Sessions. Im Gegensatz zum Büro gibt es in der «realen Welt» mehr Unsicherheiten und so kann ein Puffer sehr nützlich sein. Bspw. wenn das Wetter nicht mitspielt und die Testpersonen deshalb länger brauchen, um zum Durchführungsort zu gelangen.

3. Vorbereitung

  • Kläre die Bedingungen vor Ort genau ab. Feldstudien bedürfen einer besseren/längeren Vorbereitung als Tests im eigenen Büro. Bspw. hatte ich ein längeres Telefonat mit der Bäuerin: Ich habe sie über alles informiert und ihr den Tagesablauf geschildert, dass wir den Test im normalen Betrieb durchführen, dass kein zusätzlicher Aufwand auf sie zukommt, usw. Ich habe mich auch nach den Preisen und dem Angebot im Hofladen erkundigt. Die Öffnungszeiten gingen leider vergessen, wodurch wir kurzfristig umplanen mussten.
  • Definiere, wo im Feld du die Einführung sowie die Schlussbefragung mit den Testpersonen machen wirst. In unserem Fall konnten wir hierfür einen Raum neben dem Hofladen nutzen.
  • Inspiziere die Situation vor Ort wenn möglich vor dem Test und passe dich dem Kontext an. Hierzu gehören deine Kleidung, dein Verhalten, dein Vorgehen und deine Ausrüstung.

4. Aufzeichnung des Tests

  • Dies ist nicht so einfach wie beim Labortest im Büro. Passe dich auch hier dem Kontext an. Wenn es einmal nicht möglich ist, den Test zu filmen, ist das nicht schlimm. Beobachte das Verhalten der Testperson und mache dir Notizen. Hierzu empfiehlt es sich, eine stabile Unterlage mitzunehmen.
  • Eine relativ einfache Möglichkeit ist, den Test mit dem Smartphone und einem Stativ zu filmen. Diese Methode habe ich z. B. bei Tests auf Parkplätzen erfolgreich angewandt.
  • Erkundige dich im Voraus, ob es am Testort überhaupt erlaubt ist, zu filmen.

User Testing Kit

Das User Testing Kit enthält alles, was du für einen erfolgreichen Benutzertest benötigst:

  • Testskript-Vorlage mit hilfreichen Tipps für alle Phasen deines User Tests
  • Beobachtungsprotokoll-Vorlage
  • Benutzertest-Analyse-Spreadsheet-Vorlage

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Fazit

Ja, im Feld zu testen, ist aufwändiger als im Büro. Dafür gewinnst du unter Umständen neue Erkenntnisse über dein Produkt. Denn viele Probleme tauchen ohne Einflüsse von aussen gar nicht erst auf. Probiere es einfach einmal aus! Es muss keine perfekt durchgeplante Studie sein. Auch von einem schnellen Guerilla-Test im Feld kannst du viel lernen. Deshalb: Wage den Sprung und teste dort, wo deine Kunden das Produkt tatsächlich verwenden.

Wenn du noch immer nicht ganz überzeugt bist, dann schau dir einfach dieses YouTube-Video an. Es zeigt perfekt, wie gross die Diskrepanz zwischen Labor- und realen Bedingungen (ab 00:40) sein kann.