Die folgenden fünf Regeln für fortgeschrittenes User Testing habe ich in meinen vergangenen Benutzertests als Moderator beobachtet und selbst angewandt. Zur Auffrischung habe ich euch in einem anderen Beitrag bereits die 9 Grundregeln für erfolgreiche Benutzertests zusammengefasst. Wenn du außerdem diese 5 goldenen Regeln berücksichtigst, wird dies die Relevanz und Glaubwürdigkeit deiner Benutzertests gegenüber internen Stakeholdern noch weiter erhöhen.

Die fünf Regeln für User Testing in der Übersicht:

  1. Die Durchführung eines User Tests ist Teil der User Experience.
  2. Management willkommen, doch nur bei durchgängiger Teilnahme.
  3. Ein Benutzertest ist keine Show-Veranstaltung.
  4. Spare nicht bei den Testpersonen.
  5. Ein Benutzertest ist kein Projekt, sondern vielmehr ein Prozess und eine besondere Kultur.

1. Die Durchführung eines User Tests ist Teil der User Experience

Testpersonen, die bestehende oder potentielle Kunden darstellen, kommen zu dir ins Büro, um an einem Benutzertest teilzunehmen. User Researcher konzentrieren sich häufig zu stark auf den Test und vergessen regelmäßig, wie wichtig das Drumherum ist. Dabei geht es um Fragen wie: Ist der Eingang für die Testperson einfach zu finden? Wird die Person herzlich empfangen? Möchte die Person etwas trinken? All diese Dinge sind wichtig. Die Testperson bewegt sich in einem ihr völlig unbekannten Territorium. Und es ist deine Aufgabe, dass sie sich wohl fühlt. Was bei der Testperson als Eindruck zurückbleibt, ist vor allem, wie sie von dir behandelt wurde und weniger, wie sie den Prototypen wahrgenommen hat. Sei dir darüber bewusst, dass du gegenüber dieser Person dein Unternehmen repräsentierst. Daher empfehle ich dir, ein paar Getränke und Snacks bereitzustellen und die Türeingänge gut zu kennzeichnen (hol dir ein kostenloses Türschild).

TestingTime Türschild - user testing ist im Gange

Das Türschild im Einsatz bei Garaio

2. Management willkommen, doch nur bei durchgängiger Teilnahme.

Damit Entscheidungen nicht allein auf wohlklingenden Hypothesen basieren, ist es wichtig, dass Entscheidungsträger hautnah miterleben, wie Testpersonen auf einen Prototypen reagieren. Ist ein Vertreter des Managements dabei, ist dies auch immer ein Zeichen dafür, dass ein hoher UX Reifegrad im Unternehmen herrscht. Oft erlebe ich jedoch, dass sich das Management nur Zeit für einen einzelnen Test nimmt. Das große Problem dabei besteht darin, dass in dieser einzelnen Session Dinge passieren können, die über alle Tests hinweg völlig irrelevant sind, im Kontext dieses einzelnen Tests jedoch als gravierend erscheinen. Das kann dazu führen, dass ein Entscheidungsträger mit einem einzelnen Eindruck zu anderen Stakeholdern geht und argumentiert mit: „Ich habs ja selber gesehen”. Das ist enorm gefährlich und kann User Research in komplett falsche Bahnen lenken.

Können sich Entscheidungsträger nicht für mindestens 3 Sessions verpflichten, ist es weitaus sinnvoller, den betreffenden Personen ein Video mit den Highlights zur Verfügung zu stellen. Wenn du dennoch Wert darauf legst, dass ein Entscheidungsträger dabei ist, versuche möglichst, die betreffende Person aktiv in die Durchführung des Tests mit einzubeziehen. So kann diese Person z. B. die Rolle des Beobachters übernehmen und Notizen machen.

ZHAW Usability Lab

ZHAW Usability Lab: Blick aus dem Beobachtungsraum

3. Ein Benutzertest ist keine Show-Veranstaltung

Dieses Thema ist mit dem vorherigen verwandt. Oft wird das Top-Management vom Research-Team zu einer Session eingeladen, bei der demonstriert wird, wie wichtig die Research-Arbeit ist. Damit sollen die Entscheidungsträger davon überzeugt werden, dass User Testing eine gute Sache ist, die auch zukünftig unterstützt werden sollte. Leider wird die Session in diesen Fällen häufig zur Show-Veranstaltung. Hierzu wird gerne eine ideale Testperson ausgewählt und geschult, um den Erwartungen des Top-Managements bestmöglich zu entsprechen. Dies ist völlig kontraproduktiv und hilft weder dem aktuellen Testobjekt noch der ganzen Organisation. Zudem erhalten die Besucher nur einen einzelnen und isolierten Eindruck, was wiederum zu potentiellen Fehlentscheidungen führen kann. Auch hier gilt, dass sich die Besucher für mindestens drei Sessions verpflichten sollten und es im anderen Fall besser wäre, ein Video mit den Highlights zu erstellen und dies den betreffenden Personen vorzulegen.

4. Spare nicht bei den Testpersonen

Das Konzept des User-centred Design Prozesses wird geradezu zelebriert. Im Kern steht die Testperson, die regelmäßig mit eingebunden wird. Umso mehr erstaunt es mich, wie oft dennoch über die Kosten für die Rekrutierung und die Incentivierung diskutiert wird.

User-centred Design Prozess

User-centred Design Prozess

In einem durchschnittlichen Benutzertest sind die Kosten für die Testpersonen im Vergleich zu denen für die beteiligte Mitarbeiter völlig irrelevant. Und letztlich steht und fällt ein Benutzertest mit geeigneten Testpersonen. Greift man auf Bekannte und Freunde als Testpersonen zurück, spart man damit leider an der falschen Stelle. Hierdurch werden die Ergebnisse verfälscht, eine reine Zeitverschwendung also. Gibt es trotz aller guten Argumente klare Budgetgrenzen für die Rekrutierung, empfehle ich, auf Guerilla-Methoden auszuweichen.

5. Ein Benutzertest ist kein Projekt, sondern vielmehr ein Prozess und eine besondere Kultur.

Viele Projektverantwortliche glauben, dass ein Benutzertest etwas Einmaliges ist und als Projekt behandelt werden muss. Oft sind Projektverantwortliche auch der Ansicht, dass eine Web-App zuerst fertig programmiert werden muss, bevor ein Benutzertest durchgeführt werden kann. Doch: Ein Test mehr kann nie schaden. Die größte Herausforderung besteht letztlich nicht darin, einen Benutzertest richtig durchzuführen, sondern darin, dass Team dazu zu veranlassen, diese Tests regelmäßig zu machen. Eine starke UX Kultur herrscht dann, wenn Leute aus anderen Abteilungen bei einem Benutzertest mit dabei sein möchten oder Ideen dazu einbringen, was noch getestet werden könnte.

Fazit

Ich hoffe, diese 5 Regeln helfen dir dabei, dich für neue User Testing-Themen und deren Wichtigkeit zu sensibiliseren. Bis heute wird qualitativem User Research immer wieder vorgeworfen, es könne – anders als quantitative Research-Methoden – den Erfolg oder Misserfolg nicht nachhaltig messen. Umso wichtiger ist es, dass du methodisch korrekt vorgehst und dich nach soliden Regeln und „Best Practices” richtest.

Wenn du diese Regeln in deinem Alltag anwendest, erhöht sich die Glaubwürdigkeit deiner methodischen Fähigkeiten und damit letztlich auch die Glaubwürdigkeit deiner Ergebnisse.

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Lass uns in den Kommentaren wissen, ob du noch weitere Regeln und Richtlinien zum Thema UX-Test kennst, die du hilfreich findest. Sharing is caring!

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